Die antonius Gartenvilla – ein Projekt der Menschlichkeit
Mit dem Projekt Gartenvillen verfolgt das Antoniusheim ein Leitbild, das seit Gründung der Einrichtung 1903 im Mittelpunkt jeglichen Handelns steht: der unvoreingenommenen Anerkennung jedes Menschen in seiner individuellen Persönlichkeit, unabhängig von Art oder Umfang einer geistigen, körperlichen, seelischen oder sozialen Beeinträchtigung. Im Sinne einer wahrhaftig gelebten und praktizierten Nächstenliebe gilt es dabei dem einzelnen benachteiligten Menschen durch die Kraft der Gemeinschaft dazu zu helfen an der Gesellschaft aller in einer ihm angemessene Form teilzuhaben. Diese Form der Solidarität als Grundprinzip christlicher Ethik bedarf keiner programmatischen Erläuterungen oder politisch motivierter Handlungsanweisungen. Vielmehr entspringt es dem natürlichen sozialen Bewusstsein jedes aufgeklärten Menschen, für den ein Leben in einer Zivilgesellschaft nur ohne die Ausgrenzung vermeintlicher Randgruppen vorstellbar ist.
Sofern also aktuelle staatliche Initiativen von „Inklusion“ benachteiligter Menschen meinen, dass „kein Mensch aus der Gesellschaft ausgeschlossen, ausgegrenzt oder an den Rand gedrängt werden darf“, handelt es sich hierbei – bezogen auf die Geschichte des Antoniusheims – um eine späte Erkenntnis, deren politische Intention zwar lobenswert, jedoch für die Arbeit des Antoniusheims nicht weiter von Belang ist. Warum gerade jetzt, also erst im 21. Jahrhundert und mit dieser Definition ein Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens quasi auf dem Verordnungsweg umgesetzt werden soll ist ebenso wenig nachvollziehbar, wie Art und Inhalt der Gesetze und Vorschriften, die nunmehr den Bewusstseinswandel in der Gesellschaft herbeiführen sollen. Das Gegenteil wird der Fall sein, nämlich ein Effekt, wonach sich die Menschen auch in dieser Frage nicht mehr auf ihr eigenes Gewissen, sondern auf eine staatliche Regulierungskompetenz beziehen. Genau dies schafft eben kein Bewusstsein und Anteilnahme, sondern fördert eine anonyme Apathie der Menschen, denen vorgegaukelt wird individuelles Handeln könne durch staatliche Programmatik ersetzt werden.
Dem gegenüber steht das Antoniusheim in der gelebten Tradition christlicher Werte, integer und glaubhaft durch das unbeirrbare Handeln nach eigenen Wertmaßstäben, selbst wenn dies in einzelnen Fällen in die Irre geführt haben sollte. Somit findet „Inklusion“ im Antoniusheim bereits seit 110 Jahren statt. Und zwar unabhängig von staatlichen Sichtweisen zu diesem Thema, was gerade der Grund für die Gründung der Einrichtung unter der Prämisse möglichst großer Unabhängigkeit gewesen sein dürfte. Zahlreiche Beispiele der letzten Jahrzehnte stehen für diese Haltung des freien Denkens und offensiven Handelns: Lebensbaum, Tagwerk, Paduaschule, Gruppe Vinzenz, Startbahn, NachrichtenWerk, Zitronenfalter, Wohnen im Haupthaus, Gartenkinder etc. all diese Projekt dienten nicht der Abschottung, sondern stets der Öffnung, der Ein-Mischung von Jung und Alt, behindert- nicht behindert, gebildet – nicht gebildet, arm – reich etc.
Gerade der letzte Gegensatz prägt heute mehr noch als in früheren Jahrzehnten unsere Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Ein Staat, der erst auf Grund einer EU-Vorgabe zwangsweise den Sinn von Inklusion zu erkennen vorgibt, scheint als glaubhafter Partner einer neuen (in diesem Fall natürlicheren) Gesellschaftsordnung kaum ernsthaft ansprechbar zu sein. Tatsächlich deuten die heutigen Verordnungen und Förderbedingungen zu Projekten der „Inklusion“ eher auf die dogmatisch institutionalisierte Form einer anderen Behindertenpolitik, denn auf den erkennbaren Willen zu einem breiten gesellschaftlichen Diskurs hin. Was Wunder, würde dies doch bedeuten, dass man nicht nur die Grundfesten unserer geheiligten Leistungsgesellschaft in Frage stellen, sondern vor allem dafür auch ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen müsste.
In diesem Kontext scheint eine unbeirrbare Haltung, die sich klar von den kurzlebigen Moden politischen Handelns absetzt als besonderes Glaubwürdigkeitsmerkmal!
Das Projekt Gartenvilla steht somit nicht nur in direkte Linie des bisherigen Handelns des Antoniusheims, sondern passt dieses Handeln gerade in Zeiten sich verschärfender politischer Rahmenbedingungen konsequent den heutigen gesellschaftlichen Erfordernissen an.
Eine Gesellschaft, die bislang Gruppen ohne vermeintliche Produktivkraft und „Humankapital“ ohne wirtschaftliche Relevanz in verschieden bedürftige Gruppierungen zu segregieren suchte, steht nun im Ergebnis vor dem Problem diese Menschen, die immer mehr werden, irgendwie wahrnehmen und einbeziehen zu müssen. Kategorisierung und Institutionalisierung mittels Förderstrukturen sollen dabei nach wie vor das Mittel der Wahl zur Lösung der Aufgabe sein.
Dieser per se zu langsamen politischen Bewusstseinsbildung war das Antoniusheim stets voraus!
Auch im Fall der Gartenvillen wird daher nicht darauf gewartet, dass Politiker ein natürliches Lebensmodell, basierend auf intakten sozialen Gemeinschaften und allgemein ethisch-moralische Überzeugungen als erstrebenswertes Erziehungs- und Förderprinzip erkennen. Vielmehr steht für das Projekt der Gartenvillen wieder einmal die Rückbesinnung auf die Prinzipien Maria Rangs, wonach die Verantwortung für den Nächsten letztlich nur bei jedem Einzelnen und seiner Verantwortung für sein soziales Handeln liegen kann.
Die Starken helfen den Schwachen ist daher das Leitmotiv für die Gartenvillen. Menschen ohne finanzielle Not geben einen Teil damit Sie mit anderen Menschen gleicher Überzeugungen, egal welcher Vorbedingung, in einer Hausgemeinschaft wohnen und in der Lebensgemeinschaft des Antoniusheims alt werden können. Ein Geldbetrag garantiert den Gebenden das lebenslange Wohnrecht und die Möglichkeiten alle Leistungen und Einrichtungen des Antoniusheims in Anspruch zu nehmen.
Die Gemeinschaft von „Gutmenschen“, eine gesellschaftliche Vision, 2014 Jahre alt, Ausgangspunkt unserer abendländischen Kultur und einzig möglicher Endpunkt, sofern nicht das Gesetz des Stärkeren über die Schwächeren, also das der Barbarei (im neuzeitlichen Sprachgebrauch auch Kapitalismus genannt) obsiegen soll.
Dass diese Vision erforderlich, angemessen und umsetzbar ist, zeigt sich am intuitiven Missbehagen einer ständig steigenden Zahl von Bürgern, die zwar eine Zeitlang durch gesellschaftliche Normierungen geschützt, irgendwann jedoch unweigerlich ebenfalls Opfer dieses Konkurrenzsystems werden können.
Das Projekt Gartenvilla thematisiert somit ein hochaktuelles gesellschaftspolitischen Problem und zeigt eine simple menschengemäße Lösung, eine Lösung die Optimismus ausstrahlt, eine Perspektive eröffnet und auf moralischen Fundamenten basiert, nicht auf ökonomischen.
Peter Sichau, April 2014