Raum und Handlung
Zur Frage des Zusammenwirkens von Architektur, Kunst und Liturgie
Im Architektenvertrag unseres Büros aus dem Jahr 2015 wurde, im Sinne der Auslobung des vorher durchgeführten internationalen 2-stufigen Wettbewerbs, vereinbart, dass das Projekt zur Neugestaltung des Innenraumes von SANKT HEDWIG als Gesamtkunstwerk aus Architektur und Kunst zu realisieren sei. Diese Haltung des Erzbistums Berlin folgt einer historischen Tradition im Kirchenbau, die die Symbiose von Architektur und Kunst als zentrale Bedingung für die Raumqualitäten der liturgischen Handlung erfordert. Demzufolge war bereits im Rahmen des Wettbewerbsverfahrens die Zusammenarbeit von Architekt und Künstler ausdrücklich gewünscht da es sich beim Sakralbau – im Gegensatz zur künstlerischen Ausgestaltung von Profanbauten – nicht um additive Gestaltelemente handelt, sondern um das konsistente Zusammenwirken der architektonischen Setzung mit der künstlerischen Ausgestaltung der liturgischen Handlungsorte. Insofern sind diese beiden Elemente nur in völliger konzeptioneller und ideeller Einheit fähig, den Handlungsrahmen sakraler Architektur für den Zelebranten in der Feier, zu bilden. Die tatsächlich religiöse Wirkkraft eines Sakralbaus entsteht somit nur im Dreiklang von Kunst, Architektur und Handlung im Raum als Einheit.
Eine Trennung von Kunst und Architektur ist daher insofern weder zeitlich noch technisch denkbar. Dies umso weniger, da Elemente wie z.B. Stühle, Kredenzen, Fenster etc., im Profanbau einen funktionalen Charakter haben, im Sakralbau jedoch wesentliche Objekte der theologischen Aussage des Gebäudes und vor allem der liturgischen Handlung darstellen. Bedeutung und Ausprägung dieser Objekte können so in ihrer Erscheinung auch immer nur vom Bauherren, zusammen mit dem Architekten und Künstler, festgelegt werden.
Diese architektonisch-künstlerische Einheit ist der Dreh- und Angelpunkt der raumliturgischen Konzeption von SANKT HEDWIG. Da es insgesamt um die Reduktion im Innenraum von SANKT HEDWIG geht, gilt jedem Gegenstand und damit jedem Kunstwerk ein besonderes Augenmerk. Das wird jeder Betrachter und Betenden dieses Objekt erfüllte ganz intuitiv so erfassen. Künstler und Architekt präjudizieren diese Intuition und nehmen sie nicht nur vorweg, sondern beanspruchen diese für sich selber, um aus diesem Impuls frei arbeiten und gestalten zu können. So entsteht letztendlich ein harmonisches Ganzes, das SANKT HEDWIG auch für die Zukunft prägen wird.
Im Gegensatz zur rein baulichen Realisierung des Entwurfs bezieht sich die künstlerisch-gestalterische Handlung dabei, wie bei allen Kunstwerken, nicht nur auf die Idee und geistige Vorlage, sondern auch auf die tätige Mitwirkung des Künstlers bei der Herstellung des jeweiligen Objektes im Atelier oder in der Werkstatt. Im Barock, also in der Bauzeit der Kathedrale, wurde dieses Prinzip besonders deutlich, da Künstler wie etwa Giovanni Battista Tiepolo (Würzburger Residenz) die Fresken nicht nur entworfen, sondern auch ausgeführt hat. Er tat dies wenige Jahre nach der Grundsteinlegung von SANKT HEDWIG (1747/48) in den Jahren 1752/53. Das ist 2021 nicht anders.
Das Zusammenspiel zwischen Künstler und Handwerker beruht auf diesem alten Prinzip. Es sollte möglichst kein Blatt passen zwischen gestalterischer Vision und Ausführung, geschweige denn eine Einmischung von außen. Eine Trennung zwischen der Idee des
Kunstwerks und dessen Herstellung in einen Planungs- und einen Herstellungsteil ist vor diesem Hintergrund per se nicht möglich.
Die physische Produktion des Kunstwerks erfolgt also, ebenso wie die gedankliche Entwicklung der Idee, durch den Künstler selbst, bzw. in engem Zusammenspiel mit dem jeweiligen Kunsthandwerker oder der Manufaktur, die vom Künstler bestimmt werden. Insofern sind alle Kunstwerke der Liste in Anlage 2.3 des Architektenvertrages, sowie ggf. noch zusätzliche Kunstwerke des Projektes, grundsätzlich als künstlerisches Werk in Idee und Physis als Gesamtheit anzusehen und können in ihrer bloßen physischen Herstellung nicht mittels eines Wettbewerbs unter mehreren Herstellern entstehen. Diese Auffassung und Vorgehensweise wird bei Sakralbauten, die Kunst nicht wie bei Profanbauten als bloßes Dekorationselement, sondern als integralen Bestandteil der Wirkung von Architektur und Handlung erfordern, seit je her anerkannt und praktiziert.
Dem Kirchenstuhl kommt hierbei in SANKT HEDWIG sowohl als künstlerische Intervention als auch als „liturgisches Gerät“ eine Signalwirkung zu, die vielleicht erst auf den zweiten Blick wahrgenommen wird. Und zwar nicht nur in seiner Rolle innerhalb des Kultgeschehens, sondern auch außerhalb liturgischer Feiern als Platzhalter für die Menschen, die sich hier regelmäßig versammeln. Die gestalterische Entwicklung und Realisierung der liturgischen Stühle erfolgt wie bei autonomen Kunstwerken auch. Dem komplexen künstlerischen und technischen Anspruch wird durch intensive Zusammenarbeit mit einem vom Künstler ausgewählten qualifizierten Handwerker entsprochen, ganz im Sinne der alten und langen Tradition der Künstlerwerkstätten. Aus dieser Haltung heraus hat Leo Zogmayer mit dem Tischler Wolfgang Schmidinger/Vorarlberg bereits 2002 einen Kooperationsvertrag für die Produktion der von ihm gestalteten liturgischen Stühle abgeschlossen, da dieser aus der langjährigen Kooperation mit dem Künstler alle Kriterien des Werkgedankens und der besonderen Qualitätsanforderungen Zogmayers erfüllt.
Die prominente Bedeutung von SANKT HEDWIG als Bischofskirche des Erzbistums Berlin, stellt das Vorhaben einer völligen Neugestaltung naturgemäß in den Fokus sowohl der Öffentlichkeit, aber auch kirchlicher Gremien und externer Projektbeteiligter. Dadurch besteht die besondere Verpflichtung der Verantwortlichen zu transparenter Vermittlung der Entscheidungswege, der inhaltlichen Diskussionen und der wirtschaftlichen Mittelverwendung. Aus diesem Grund wird mit der in Anlage beigefügten Aufstellung der vorgesehenen Kunstwerke ein Vorschlag angeboten die Leistungen, im Rahmen unterschiedlich gestaffelter Herstellungs- und Vergabeverfahren, so zu kategorisieren, dass die künstlerische Qualität des Werks in oben beschriebenem Sinn gewährleistet bleibt.
Peter Sichau 2021